Dienstag, 8. Mai 2012

Erwartungen

Nun, was erwarte ich von meiner bevorstehenden Verwandlung? - Das ist leider nicht annähernd so einfach zu beschreiben, wie sich die Frage liest.

Um das vielleicht beantworten zu können, zähle ich besser zuerst auf was ich NICHT erwarte:

Mein 196 cm hoher, infolge erheblicher Testosteronvergiftung und sportlicher Aktivitäten der Vergangenheit im praktischen Quadrat-Format entwickelter Körper eignet sich selbst in femininster Kleidung und dem modischsten Outfit auf Erden nicht sonderlich, um im "Deepstealth" mit der Menge mitzuschwimmen - schon gar nicht, wenn selbst zierlichste Absätze mich locker über die 2 Meter wuchten.

Wenn also der typisch deutsche Mittelstandsgoliath an meiner Figur hinaufblickt und bei dem Gesicht mit den freundlichen Augen mit dem Mörderzinken hängenbleibt, wird selbst der geneigteste Betrachter unwillkürlich unbewusste Vergleiche mit dem letztens begutachteten Diesellaster anstellen. Ganz besonders wenn die Angsprochene im tiefsten Brustton eines Subwoofers antwortet.

Ich erwarte also nicht, ständig und stets "nur" als Frau wahrgenommen zu werden. Für die überwiegende Menge werde ich also immer eine Frau mit transidenter Vergangenheit sein, was mir persönlich zunächst aber auch reicht. Hauptsache man erkennt auf den ersten Blick, dass ich definitiv KEIN Mann mehr bin.

Ich erwarte ebensowenig, mit Auflösung des jetzigen Rollenverhaltens auf einmal widerstandsfrei durchs Leben zu gehen (respektive zu stöckeln :) ) 

Mir ist bewusst, das ich gerade in der Anfangszeit vielerorts auf Ablehnung, wenn nicht gar offene Anfeindung treffen werde. - Die erwarte ich sogar, schlimmer wird`s wahrscheinlich mit Spott, Hohn, Häme  und dem schrägen Humor, den "Normalos" mir vermutlich entgegenwerfen. 

Wie geht man mit - unter Umständen sogar wirklich witzigen - Bemerkungen um, wenn einem grade eigentlich zum heulen zumute ist? - Eine Antwort darauf habe ich nicht, ich denke, das wird die Zeit zeigen und oder der Psychotherapeut richten müssen. 

Auch erwarte ich von der irgendwann kommenden Hormontherapie keine Wunder, sicher mein Körper wird mit etwas Glück sicherlich etwas weiblicher daherkommen, was aber auch zur Folge haben wird, dass die für meine Körpermaße eh schon knapp bemessenen Konfektionsgrößen noch knapper ausfallen und die verfügbaren Kleidungsstücke damit nochmals weniger werden. 

Immerhin die behördlichen Spiessrutenläufe, von denen die meisten T-Girls so oft berichten, hoffe ich aufgrund meiner Ausbildung und der langjährigen Erfahrung im Umgang mit Behörden im Griff zu haben. Ich kann mich hier natürlich auch täuschen, da ich dies in diesem Fall ja nun aus dem Blickwinkel des Betroffenen erlebe! Ich denke auch das muss ich auf mich zukommen lassen.

Die an die Rolle des typischen Manns in unserer Gesellschaft geknüpften Erwartungshaltungen kann und will ich zukünftig nicht mehr erfüllen, auch wenn es mich schmerzt, daran zu denken, was das für Auswirkungen auf meine Vaterrolle hat. Ich tröste mich derzeit mit dem Gedanken, dass Sohnemann vielleicht die Vaterfigur verliert, ganz sicher aber ein zweite Mutter hinzugewinnt.

Besonders schwierig sehe ich derzeit auch meine Beziehung (nein nicht was Ihr denkt, die Beziehung ist intakt) - meine Frau und ich sind durch eine Liebe verbunden und geprägt, die man mit Recht wohl selten findet. Doch werde ich Ihr wohl kaum zumuten können, durch meinen Geschlechtsrollenwechsel ihre sexuelle Ausrichtung zu ändern. Auch hier werde ich einiges zu lernen und an Problemen zu lösen haben.

Was ich also erwarte: (bitte nicht alles so ganz ernst nehmen, auch wenn ein Fünkchen Wahrheit drin ist)

  • Morgens nicht mehr den verdrießlichen Kerl im Spiegel zu sehen, den ich Zeit meines Lebens immer mehr hassen gelernt habe.
  • Während der Morgentoillette ebenfalls das Anrecht zu beanspruchen, das Bad für 2 Stunden zu blockieren.
  • endlich die Klamotten kaufen und tragen zu können, die ich früher nur im Schaufenster bewundern durfte.
  • Vor einem vollen Schrank mit meiner Frau zu diskutieren, dass ich nichts anzuziehen habe, mit dem Ergebnis, das eine spontane Shoppingtour vereinbart wird.
  • Auf dämliche Fragen mit einem nichtssagenden, dümmlichen Lächeln Antworten zu dürfen bis der/die Fragesteller(in) um eine verständliche Formulierung zu ringen versucht.
  • Bei ergreifenden Szenen in Film oder Theater nicht mehr (wie von mir als typisch männliches Verhalten verlangt wurde) angewiedert den Kopf wegzudrehen, sondern hemmungslos den Wasserhahn aufzudrehen.
  • Stundenlang belangloses auszutauschen, bei dem man hinterher gar nicht mehr weiß worum es urprünglich ging, nur um festzustellen, wie wichtig es ist darüber geredet zu haben.
  • Endlich in Ruhe kochen zu können, ohne sich bei jedem entschuldigender Weise als Hobbykoch outen zu müssen.
  • halt typisch weibliches auszuleben, ohne sich dafür im Keller verstecken zu müssen.
  • Genießen, endlich das tun und lassen zu können, wonach ich mich sehne und nicht das, was von mir in meiner männlichen Form erwartet wurde. 



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